AW: Was lest ihr zur Zeit?
Nach dem ganzen Hype um „den Mersch“ hier hab ich mir gedacht: Guckste halt mal an. Also auf Amazon und die Vorschau angeklickt – das ganze Überblick-Kapitel (also Seiten 1 bis 4 einsehbar). Nice. Schon der erste Satz lässt hoffen: „Der folgende Text ist recht wissenschaftlich gehalten (...)“. Irgendwie scheint mir, dass der Begriff „wissenschaftlich“ heutzutage sehr inflationär und für alles Mögliche gebraucht wird, aber bleiben wir mal unvoreingenommen.
Die beschriebene „evolutionäre Tatsache“, dass der Mensch zwei Hauptenergiestoffwechselarten besitzt - was ist mit den vielen Aminosäuren, die, um mal auf einschlägige Lehrbücher (ist das wirklich wissenschaftlich?) wie z.B. [1] zu verweisen, zu gut 50% postprandial zu Energie abgebaut werden? - kann man vielleicht noch so stehen lassen.
Dann kommt die Aussage: „Fast alles, was wir zu viel essen, wird im Körper in Form von Fett gespeichert“. Ist das so? Immer? Für jeden? Oder hängt das wiederum von anderen Faktoren, wie Genetik etc. ab? Von welchem Standpunkt aus wird „zu viel“ definiert, und was ist mit dem „nicht zu viel gegessenen“ (siehe dazu unten)? Schlussendlich verfügt der Körper auch über andere Mechanismen, mit Energie umzugehen, als sie zu speichern – beispielsweise kann er sie „verschwenden“, exemplarisch zu nennen sind die uncoupling proteins in den Mitochondrien, welche die Atmungskette entkoppeln und die Energie als Wärme „verbraten“ können.
Als nächstes wird argumentiert, dass das „Problem“ sei, dass sich das Gehirn bei reichlichem Glucoseangebot auf Glucosestoffwechsel einstellt und damit offensichtlich (?!?) „aus evolutionärer Sicht nicht ganz ausgereift ist“, da sich bei einem vollständig abgeschlossenen evolutionären Prozess das Gehirn primär des Fettstoffwechsels bedienen würde. Hier stellen sich mir gleich mehrere Fragen. Zum Einen war ich (zumindest bisher) der Meinung, Evolution sei die ständige Anpassung an sich ändernde Umgebungsbedingungen – was soll dann eine „abgeschlossene Evolution“ sein? Wie soll unser Gehirn also seine Evolution sinnvoll abschließen, gegeben den Fall, dass sich die Umgebungsbedingungen ändern? Und scheinbar tun sie das ja – nämlich indem heute viele Kohlenhydrate verzehrt werden. Ist es also eine evolutionäre „unausgereiftheit“, dass sich das Gehirn der in der heutigen Umgebung massig vorhandenen Kohlenhydrate bedient? Oder ist es eben gerade die evolutionäre Ausrichtung an diese Umstände, was dem Gehirn zu seiner heutigen Leistungsfähigkeit verholfen hat? Des Weiteren ist es wohl nicht so, dass wie dargestellt, „alle anderen großen und energiehungrigen Organe“ Fettstoffwechsel betreiben. Das Blut – namentlich die Erythrozyten – tun dies beispielsweise (meines Wissens nach) nicht. Es kann natürlich sein, dass hier ebenfalls die Imperfektion der evolutionären Entwicklung des Menschen wiedergespiegelt wird, und wir die guten alten Erys nun auch zum Fettstoffwechsel „bekehren“ müssen, weil das für viele andere Organe ja so gut klappt – ich persönlich glaube das aber weniger. Der andere Punkt ist, dass das Gehirn ja scheinbar doch irgendwie Fette – beziehungsweise deren Abbauprodukte - verstoffwechseln, und damit zumindest gewissermaßen am Fettstoffwechsel teilhaben kann. Diese Fähigkeit muss doch auch irgendwie evolutionär entstanden sein (so dass es das Gehirn „wieder erlernen“ kann), oder?
Die nächste Hypothese ist dann, dass wer am Schreibtisch sitzt und (da aus Fett nur wenig KH hergestellt werden können) schon bald wieder Kohlenhydrate für sein „hungriges Gehirn“ zuführen muss – also reichen die bei kohlenhydratreicher Kost ständig gefüllten Leberglycogenspeicher mit ca. 300g Glycogen nicht aus, um die täglich ca. 120g Glucose für das Gehirn zu decken? Scheint mir nicht plausibel – insbesondere angesichts der bisherigen Argumentation: (angeblich) alle anderen Organe verstoffwechseln Fett als Hauptenergiequelle – und dann soll bei kohlenhydratreicher Ernährung das Gehirn in einen Kohlehydratmangel geraten (da natürlich alle „zu viel“ aufgenommenen Kohlenhydrate in Fett umgewandelt werden – aber es sind ja doch noch die „nicht zu viel“ aufgenommenen da, die z.B. als Leberglycogen gespeichert werden, oder?), der dann wieder zu Heißhunger auf Kohlenhydrate führt? Ich weiß nicht so ganz.
Vielleicht wird die ganze Sache in den folgenden Kapiteln ja etwas logischer/schlüssiger dargelegt und hergeleitet – das am Anfang ist ja nur die Übersicht. Dennoch: Aus dem, was ich in der Vorschau lesen konnte, spare ich mir (als Nicht-Kindle-Besitzer) die knapp 10 Euro lieber.
Literatur:
[1] Horn, F. (2009).Biochemie des Menschen. Thieme:Stuttgart, New York