AW: Wursti 2.0
Okay, du operierst mit einem grundsätzlich anderen Wissensbegriff als ich. Wissen ohne Irrtumsmöglichkeit = Religion/Dogmatismus/Theologie etc., oder - als zweite Kategorie - eine rein analytische Aussage, jedenfalls Alles nicht mehr sinnvoll wenigstens dem Anspruch nach falszifizierbar. Ich würde deshalb sagen: Unwissenschaftlich. Nicht unlogisch oder Blödsinn, freilich nicht, aber trotzdem unwissenschaftlich (Mathe ist keine Wissenschaft.) Wissenschaft als Sammlung von Sätzen mit dem Anspruch, wenigstens prinzipiell widerlegbar zu sein, ist zwingend eine Ansammlung von historisch kontingenten Sätzen. Nicht ganz so kontingent wie "Heute regnet es." (gilt morgen und woanders als hier nicht), aber doch kontingent, nicht nur als mitgeführte Irrtumsmöglichkeit. Sonst hast du wieder die Allsätze ("Gott ist groß, immer, überall, ewig...") oder Analytisches ("Eins ist Eins", "Eine Rose ist eine Rose"). Oder ein Axiom. Das erste ist Religion (in unserer Zeit in Mitteleuropa, in den USA bin ich mir schon nicht mehr sicher), das zweite ist langweilig (oder Mathe, wenigstens in unserer Zeit in Mitteleuropa und auch schon in Athen etc.), das dritte ist per definitionem nötig. Wissenschaft ist keins davon (evtl. das Dritte?!). Luhmann soll übrigens auf die Frage, ob er Realist sei, ausführlich und herzhaft gelacht haben.
Logik/Mathe etc. liefert Ergebnisse, man kann auch die Produkte dieser Arbeit (mathematische Sätze und so) ruhig "unhistorisch" *nennen*. Insofern sie aber nur als Denkakte bestehen - sind sie dann doch wieder historisch. Von der sozialen Praxis, die man damit unweigerlich veranstaltet (z.B. an einer Logikfakultät promovieren), mal ganz abgesehen; die Performanz, die hier abläuft, ist wiederum historisch. Das ist nicht weiter schlimm, aber trotzdem nicht zu ändern.
Interne Kohärenz als Irrtumszeichen: Ja, klar, unterschreibt jeder (hoffentlich) sofort. Aber: Das ist schrecklich unpräzise. Was heißt bitte Kohärenz? Und wie weitreichend ist die jeweilige Definition? Da wird dir ein Mathematiker ganz was anderes sagen, als ein Literat, und ein Mensch aus dem Mittelalter *ganz* was anderes als der Passant auf der Straße heute. Kohärenzvorstellungen sind hochgradig historisch (zu einem gewissen Teil sicherlich auch 'angeboren', insofern auch der Geist der Evolution entsprungen ist/immer noch unterliegt und demnach bestimmte Konzepte eher als 'ganz' oder 'stimmig' betrachtet als andere). Sehr schön kann man das übrigens an der Komposition von fiktionalen Welten von der griechischen Antike bis heute zeigen (was ist "logisch" für die Rezipienten, was nicht, was verwundert sie, was verwundert uns heute in der Handlung, was ist für uns gar keine Handlung mehr, war aber mal völlig unhinterfragt selbstverständlich etc.).
Privatsprachenargument: Du hast recht, es passt hier nicht so richtig. Ich zieh's zurück, finde aber immer noch, dass "erbaulich" einen semantsichen historischen Rattenschwanz hinter sich herzieht, der *gar nicht* zu deiner sonstigen Onlinepräsenz passt. "Erbaulich" im üblichen Begriffsverständnis ist z.B. die eben erbauliche Autobiographie von Jung-Stilling. Lies bei Gelegenheit ein paar Seiten daraus; Du wirst dann sehr schnell wissen, wo die Diskrepanzen (zwischen deinem Begriffsgebrauch und dem historischen Begriffsgebrauch) liegen^^.