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Dr. Hans Diehl
Wissenschaftler mit Schwerpunkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Epidemiologie und Ernährung, Spezialist für Lebensstil-Interventionsprogramme, Bestseller-Autor, Loma Linda, Kalifornien, USA
Gabriele R. Pietruska
Ärztin mit Schwerpunkt Lebensstil-Medizin, Lübeck, Deutschland
Mit freundlicher Genehmigung aus «Leben und Gesundheit«, Sept. '98, CH-3704 Kräftigen
Fragen Sie irgendeinen 14jährigen, ob er lieber schneller wachsen und größer werden oder lieber länger leben möchte. Mit ziemlicher Sicherheit wird er sich für die erste Alternative entscheiden. Als Erwachsener würde man wahrscheinlich eine andere Antwort geben.
? Hat diese Frage irgendeinen Bezug zu unserem Thema?
Ja. In den 30er Jahren begann man, mit Labortieren Versuche mit Eiweiß zu machen. Dabei zeigte sich, dass eine eiweißreiche Ernährung die Wachstumsrate und die Geschlechtsreife beschleunigte, aber gleichzeitig die Lebensspanne verkürzte.
? Vielleicht bei Tierversuchen. Aber jeder weiß doch, dass der Mensch viel Eiweiß braucht.
Im Jahre 1880 entdeckte ein deutscher Wissenschaftler, Dr. Liebig, dass Muskeln hauptsächlich aus Eiweiß bestehen. Dr. Karl Voit beobachtete Bergwerksarbeiter in München und fand heraus, dass diese starken, muskulösen Männer ca. 120 g Eiweiß täglich zu sich nahmen. Er erklärte daraufhin, dass diese Menge die ideale Eiweißmenge sei, die man verzehren sollte. Genügend Eiweiß zu erhalten, hat sich seitdem zu einer weit verbreiteten Volksmeinung entwickelt, und dieser Mythos konnte bis heute nicht erschüttert werden.
? Wieso Mythos? Soll das heißen, wir brauchen kein Eiweiß?
Moderne wissenschaftliche Studien zeigen, dass Erwachsene tatsächlich nur ca. 20-30 g Eiweiß täglich benötigen. Der menschliche Körper ist so konzipiert, dass er auf sehr effektive Weise seinen Bedarf an Aminosäuren (= Eiweiß) nicht verbraucht, sondern immer wieder recycelt, das heißt neu verwendet. Die einzigen tatsächlichen Proteinverluste, die ersetzt werden müssen, weil sie bei dem Recyclingprozess verloren gehen, sind die Hautschuppen, Fingernägel und Haare, die der Körper verliert.
? Wir brauchen also nur 20-30g Protein pro Tag?
Die amerikanische Akademie der Wissenschaften (National Academy of Sciences) setzt empfohlene Tagesmengen für Vitamine, Mineralien und bestimmte Nahrungsmittel fest, indem sie den tatsächlichen täglichen Bedarf des Körpers bestimmt und diese Menge dann verdoppelt. Mit dieser Methode kommt sie auf eine tägliche Eiweißempfehlung von 0,8 g pro Kilogramm Körpergewicht. Das ergibt eine Eiweißmenge von 60 g für einen 75 kg schweren Mann und 44 g für eine 55 kg schwere Frau. Obwohl diese Eiweißempfehlung schon das Doppelte des tatsächlichen Bedarfs darstellt, essen die meisten Menschen in den Industrienationen weiterhin Eiweißmengen, die im Bereich von 100-120 g Eiweiß täglich oder noch höher liegen.
? Warum ist das ein Problem?
Der größte Teil des von Mitteleuropäern verzehrten Proteins stammt aus tierischen Nahrungsquellen und ist überfrachtet mit Cholesterin und gesättigtem Fett. Weil das Fett nicht so offensichtlich zu erkennen ist, wird den meisten Menschen nicht klar, dass Fleisch- und Milchprodukte zwischen 50 und 85% ihrer Kalorien vom Fett haben. Ein Zuviel an Cholesterin und Fett, besonders gesättigtem Fett, hat bekanntermaßen starke Auswirkungen auf die Entstehung von Arteriosklerose, was zu Verengung, Verhärtung und Bildung von Ablagerungen in den lebenswichtigen sauerstofftransportierenden Arterien führt. Dieser Vorgang beschleunigt den Alterungsprozess und verkürzt das Leben.
- In der Zeit zwischen 1850 und 1990 verringerte sich das durchschnittliche Alter der Geschlechtsreife für Mädchen (1. Monatsblutung) von 17,5 auf 11,9 Jahre.
- Eine eiweißreiche Ernährung ist für Ausdauerleistungen nicht förderlich. Heutzutage nehmen Athleten eine stark kohlenhydrathaltige Ernährung zu sich anstelle von Protein.
- Überschüssiges Eiweiß belastet die Nieren mit zusätzlichen Stoffwechselprodukten. Nierenerkrankungen nehmen in Industrienationen deutlich zu.
- Eiweißreiche Ernährung hängt eng mit der Entstehung von Osteoporose zusammen. Der Abbau von überschüssigem Protein durch die Nieren erfordert große Mengen an Calcium, und ein Großteil dieses Calciums wird aus dem Knochen mobilisiert.
? Haben Kinder einen höheren Bedarf an Protein?
Ja, das stimmt, besonders in Zeiten schnelleren Wachstums. Die Empfehlung von 0,8 g pro Kilogramm Körpergewicht ergibt für ein 25 kg schweres Kind eine tägliche Eiweißmenge von 20 g. Da Kinder in unserer Gesellschaft dieselbe eiweißreiche Kost zu sich nehmen wie Erwachsene, ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie zu wenig Eiweiß bekommen, vorausgesetzt, sie nehmen genügend Nahrung zu sich. Das Problem liegt wahrscheinlich eher darin, dass Kinder zu viel Eiweiß zu sich nehmen. Eine wachsende Anzahl von Studien gibt Hinweise darauf, dass Kinder mit einer fettreichen, eiweißreichen Ernährung die Tendenz zeigen, größer zu werden und sich schneller zu entwickeln. Müssen sie für diese Entwicklung den Preis eines kürzeren Lebens zahlen?
? Wie steht es aber mit der Zusammensetzung der Aminosäuren?
Protein besteht aus einzelnen Grundbausteinen, den Aminosäuren, von denen es 20 verschiedene gibt. Der Körper kann 12 dieser Bausteine selbst aufbauen, 8 dieser Aminosäuren werden aber als essentiell bezeichnet, das heißt, der Körper eines Erwachsenen kann sie nicht selbst aufbauen. Sie müssen mit der Nahrung zugeführt werden. Früher glaubten die Menschen, dass es notwendig sei, Fleisch und Milchprodukte zu essen, um dem Körper diese essentiellen Aminosäuren zuzuführen. Die Tatsache, dass diese eiweißreichen Nahrungsmittel gleichzeitig sehr reich an Fett und Cholesterin sind, keine Ballaststoffe haben und unsere Gesundheit beeinträchtigen, wurde viele Jahre lang übersehen oder als bedeutungslos angesehen. Heute wissen wir, dass diese Aminosäuren sehr leicht durch eine Kombination verschiedener pflanzlicher Nahrungsmittel zugeführt werden können. Das zeigt sich an den Ernährungsgewohnheiten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in der ganzen Welt. Die Grundnahrungsmittel in den Ländern der Karibik sind schwarze Bohnen und Reis. Die Aminosäuren, die im Reis in niedriger Konzentration vorkommen, finden sich dafür in den Bohnen und umgekehrt. Diese beiden Nahrungsmittel ergänzen sich also in ihrer Aminosäurenzusammensetzung. Das gleiche trifft zu auf die Nahrung der Mexikaner, Maistortillas und Pintobohnen, oder die Hauptnahrung der Chinesen, Reis und Sojabohnen. In den Industriestaaten entdeckt man heute die pflanzlichen Nahrungsmittel neu. Pflanzennahrung ist fettarm, reich an Faserstoffen, cholesterinfrei und ausreichend mit Eiweiß ausgestattet. Der Eiweißgehalt vieler Gemüsesorten übersteigt 20% der Gesamtkalorien, Getreidesorten haben im Durchschnitt ca. 12% Protein, und die meisten Samen und Hülsenfrüchte weisen einen Eiweißgehalt von 20 bis 30% auf.
Fortschrittliche Ernährungsexperten empfehlen eine Eiweißmenge von 10% der täglichen Kalorienzufuhr. Selbst wenn man reiner Vegetarier ist und keinerlei tierische Produkte zu sich nimmt, ist es absolut kein Problem, diese Eiweißmenge zu bekommen. Wenn eine genügende Kalorienmenge, also genügend Nahrung, zur Verfügung steht und man aus einer Vielfalt von verschiedenen unraffinierten Produkten wählen kann, ist es praktisch unmöglich, einen Eiweißmangel zu bekommen.
Es ist Zeit, den Mythos, der sich um das Eiweiß gerankt hat, zu begraben und mit den Erkenntnissen unserer Zeit Schritt zu halten. Den Eiweißkonsum auf die Menge zu reduzieren, die allgemein empfohlen wird, ist ein sehr guter Anfang. Mit dem Eiweiß verhält es sich hier ähnlich wie mit vielen Dingen im Leben: Zuviel des Guten ist ungesund.
natürlich vegetarisch 3-1999
Vegetarier-Bund Deutschlands e.V., Blumenstr. 3, 30159 Hannover, Tel. 0511-3632050, Fax 0511-3632007, www.vegetarierbund.de
Der Text ist interessant, aber leider sehr überzogen und noch dazu arg subjektiv... sollen die Vegetarier das machen, umso mehr Fleisch bleibt für uns
