AW: Zucker = Droge?
Eisenfresser schrieb:
Letztendlich ist es ja auch wurscht ob die Menschheit aus einer Notsituation oder einfach aus Bequemlichkeit zum Ackerbau überging, unterm Strich zählt ja nur, dass die Menschheit sich dadurch von einer "artgerechten" Ernährung entfernte!
Definiere "artgerechte Ernährung" – klingt für mich, so wie es da steht, sehr nach „Schubladen-Denken“. Die Bezeichnung „Art“ ist schlussendlich schlicht ein Hilfsmittel in der taxonomischen Einordnung. Kann man also alle Individuen der Art homo sapiens über einen Kamm scheren, was die Ernährung angeht? Ich bin überzeugt davon, dass die Antwort „nein“ lautet. Alleine schon die Tatsache, dass wir über den Globus verteilt verschiedenste Ernährungsformen antreffen, und mit einem guten Teil davon Menschen "alt" werden können, zeigt für mich schon mal: DIE EINE "artgerechte Ernährung" gibt es nicht.
Ein weiterer Stolperstein der ganzen Geschichte „gesunde Ernährung“ mit Paleo- und Vorfahren-Argumenten zu propagieren ist der aus meiner Sicht klar zu erkennende Äpfel-Birnen-Vergleich. Denn es ernährt sich sicherlich kein Paleo-Jünger wie die Steinzeit-Leute. Schon alleine der Zeitpunkt, den man in der Ahnenreihe man für seine Betrachtungen erwählt, ist willkürlich. Vor „Entdeckung“ des Feuers, oder danach? Doch ganz abgesehen davon: Hat der Steinzeitmensch das fleischbeschauene Steak vom Hausschwein, bequem bereitgestellt durch den hygienegeschulten Metzger nebenan genossen, oder eher das rohe Fleisch von wohl nicht selten von Würmern durchsetzten kränkelnden Tieren, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Affliktion leichter zu erlegen waren? Ernähren sich die heutigen Paleo-Leute also tatsächlich so, wie unsere Vorfahren?
Des Weiteren ist ein vermutlich eingetretener Werte-Wandel zu bedenken. Hat der Mammutjäger-homo-sapiens davon geträumt, als "active elderly" eine Kreuzfahrt nach Andalusien zu machen und auf dem Dampfer den Hintern zu Zumba-Rhythmen zu schwingen? Oder waren da andere Lebensziele im Vordergrund? Abgesehen von persönlichen Zielen: Nimmt man beispielsweise die Evolutionstheorie als Grundlage, ist es relativ egal, ob 75% der Bevölkerung mit 30+ Jahren Krebs, Herzinfarkt oder sonstwas bekommen – bis dahin ist das Erbgut gesät (jedenfalls damals) und der hauptsächliche Zweck des Individuums (wenn man teleologisch denken möchte) erfüllt. Es ist m.E. eine (menschengeschichtlich gesehene) Neuerscheinung, dass man (utopische?) Erwartungen vom langen Leben im „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens“ hegt. Hat nicht der sozialevolutionäre Wandel unser Beweusstsein verändert? Insofern könnte man auch fragen: Sind wir alle von von der "Droge streben nach Gesundheit und langem Leben" berauscht (auch wenn die Verwendung des Begriffes Droge hier die unten stehende Wikipedia-Feststellung etwas erweitert)?
Eisenfresser schrieb:
...außerdem..............zu verstehen "wo wir herkommen/wozu wir gemacht wurden", läßt logische Rückschlüsse zu wie wir uns "artgerecht(er)" ernähren/verhalten sollten, uns körperlich anzustrengen ist unsere Natur, unsere Ernährung darauf abzustimmen ebenfalls!
Hier vertrete ich eine gegenteilige Meinung (bezüglich der fetten Hervorhebung – zur „Artgerechtigkeit“ habe ich mich ja oben schon geäußert): unsere Vorfahren mussten sich m.E. körperlich anstrengen, um begehrte/reichhaltige Nahrung zu bekommen. Waren die Anstrengungen erfolgreich, hatte man mehr Reserven für weitere Anstrengungen - und auch eventuelle Fehlschläge waren leichter zu verkraften. Und hier kommt der Nahrungsüberfluss ins Spiel – der Mensch hat es geschafft, seinen Energiebedarf verhältnismäßig einfach und effektiv zu decken, und somit u.U. Reserven geschaffen (nicht selten werden m.W. Dinge wie z.B. eine ausgeprägte Hirnentwicklung zumindest anteilig diesem Energieüberfluss zugeschrieben).
Schlussendlich muss ich hier auch fragen: wenn körperliche Anstrengung und Ernährungsabstimmung darauf "unsere Natur" ist, warum fällt es vielen Menschen dann so schwer? Ist diese Beobachtung nicht eher konträr zu Deiner Feststellung, und legt sich hier nicht eher die Vermutung nahe, dass die Natur des Menschen (zumindest im statistischen Mittel, wenn wir also "die Art" betrachten) doch eher ist, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen? Dieser Gedankengang wurde ja auch schon von pp1998 in seiner These
pp1998 schrieb:
Also der Bewegungsfaktor oder Radius unserer Vorfahren wird meines Erachtens durchaus maßlos überschätzt. Ich denke ein Neandertaler würde es so ausdrücken : „ Mammut erlegen und dann erst mal paar Monaten Höhlenparty in der Horizontalen „ .
angesprochen (auch wenn der Neandertaler taxonomisch nicht unserer Art angehört).
“Matten“ schrieb:
hey leute, die frage ist doch auch wie man zum thema drogen steht.
Und wie man „Drogen“ definiert bzw. was man selbst damit verbindet – da in Diskussionen, an denen ich teilnehme, in diesem Forum hier ja immer betont wird, dass man sich hier „umgangssprachlich“ ausdrückt, nehme ich die Wikipedia-Aussage
berauschende bzw. bewusstseinsverändernde Substanzen als Grundlage. Somit könnte man auch die Frage stellen, ob auch „andere normale Nahrungsmittel“ berauschend oder bewusstseinsverändernd sind. Ich denke man kann davon ausgehen, dass ein hungernder Mensch eine andere Bewusstseinslage hat, als ein gesättigter. Hat also Nahrung an sich eine bewusstseinsverändernde Eigenschaft, und ist somit unter dieser Definition als Droge anzusehen? (Wohlgemerkt: die umgangssprachliche Wikipedia-Aussage beinhaltet keinerlei Aussage bezüglich der Notwendigkeit, betrachtete Stoffe aufzunehmen).
Zumal ja auch, wie Matten schon anklingen hat lassen, „Drogenkonsum“ gesellschaftlich belegt ist, und per se nichts über den Umfang sowie die Schädlichkeit/Zuträglichkeit dessen aussagt.
Eisenfresser schrieb:
...die Frage ist was einem lieber ist, den Bonus voll ausschöpfen, zumindest alles daran setzen oder zufrieden sein mit dem was man hat, deutlich früher an irgendwelchen Gebrechen erkranken oder gar sterben und sich dabei tröste, bin ja 20-30 Jahre älter geworden als die menschlichen Vorfahren...
Ist denn gesichert, dass man sich (als Individuum) mit Verhalten X den vollen Bonus sichert? Oder ist das halt gerade das, was man im Moment glauben möchte bzw. in die verfügbaren (in den seltensten Fällen umfassenden) wissenschaftlichen Erkenntnisse (aufgrund von Statistik, also: Schublade) hineininterpretiert?
Zudem ist das Ganze wie ich finde ein bisschen wie Versicherungen - man glaubt, dass sie in der Zukunft helfen werden, doch dann wird man mit 35 in voller Gesundheit vom Bus überfahren und hat nichts von den Pflege-/Rentenversicherungsbeiträgen, die man auch für andere Dinge ausgeben hätte können, um sein tatsächlich gelebtes Leben zu versüßen (<- ja, die Anspielung zum Zucker-Thema ist gewollt). Manchereiner kasteit sich heute ja nicht zuletzt auch in der Gegenwart, um es in der hypothetischen Zukunft vielleicht besser zu haben, als wenn das Jetzt in vollen zügen genossen werden würde.